Selbstliebe – ist das Egoismus?
Wenn ich (nur) an mich denke, bin ich egoistisch. Wenn ich zuerst für mich sorge, bin ich rücksichtslos. Richtig? Diese Glaubenssätze sind tief in unserer Kultur verwurzelt. So tief, dass wir den Kernsatz von jemanden vergessen, der ziemlich viele gute Ideen hatte: Liebe den anderen, wie Dich selbst. Wir vergessen regelmäßig und sehr ausdauernd das „wie Dich selbst“. Ich kann einem anderen nichts wahrhaftig Gutes tun, wenn es mir selbst nicht gut geht. Warum ist das so?
Wenn ich jemand anderem Gutes tue und es mir selbst nicht wirklich gut geht, dann wird das mein Geschenk beeinträchtigen. Ich erwarte etwas zurück (die Mama, die sich aufarbeitet und Dankbarkeit erwartet). Oder ich bin eine Belastung, weil ich zu viel gebe und daher ständig jammern muss (kennen Sie so jemanden?). Wenn ich Aufmerksamkeit gebe, aber selbst nicht genug habe, erwarte ich Aufmerksamkeit als Ausgleich – ich kann gar nicht anders. Das macht mein Geschenk oft sehr anstrengend (Du rufst mich *nie* an, immer rufe *ich* an). Wenn ich etwas verschenke, aber nicht genug habe, dann fühlt sich das nicht wirklich gut an – weder für mich, noch für den anderen.
Also: Ich kann erst wirklich aus vollem Herzen geben, wenn ich selber satt, zufrieden und in Fülle bin. Und dahin komme ich nur, wenn ich konsequent mein eigenes Glas fülle (wenn Sie darauf warten, dass das jemand anders tut, dann warten Sie ev. sehr sehr lange). Wie ist das – etwas zu bekommen, ohne dass Gegenleistung erwartet wird? Wunderbar, nicht wahr – und kaum zu glauben. Es passiert nicht so oft – weil wir nur wenige wirklich erfüllte Momente haben, in denen wir geben können, ohne etwas zurückzuerwarten.
Aber – was ist denn jetzt mit dem Egoismus? Ich sehe ihn doch ständig – überall? Sind das alles Menschen, die Selbstliebe praktizieren?
Nein, natürlich nicht. Egoistische Handlungen entstehen immer aus einem Mangelbewusstsein. Ich habe nicht genug, also muss ich raffen. Hinter jeder egoistischen Handlung steht die Angst, zu kurz zu kommen. Ich handele egoistisch, wenn ich vergessen habe, dass ich selbst mir alles geben kann. Es ist ein Mangel an Selbstliebe. Wenn ich anfange, mich wirklich gut um mich zu kümmern, neige ich immer weniger zu egoistischen Handlungen. Ich habe ja alles und kann mir jederzeit alles organisieren, was ich brauche.
Das erfordert viel Vertrauen und ein bisschen Geduld. Beobachten Sie sich einmal, wie oft am Tag Sie das Gefühl haben, zu kurz zu kommen. Jedesmal steht dahinter ein altes, einprogrammiertes Muster: Ich darf nicht… Ich muss… Ich soll… Darf ich wirklich nicht? Muss ich wirklich? Soll ich wirklich?
Ich entscheide das. Und das ist Selbstliebe. Das tun, was ich möchte. Und nicht das, was ein altes Muster mir sagt.
Und wenn das, was ich tue, jemanden traurig macht? Das kann passieren. Zu Selbstliebe gehört auch Ehrlichkeit. Wenn ich nicht helfen möchte – aus welchen Gründen auch immer – dann ist es ehrlich – und sogar für beide hilfreich (!), wenn ich nein sage. Wenn ich „ja“ sage, ohne es wirklich zu meinen, dann hat das immer Kosten. Für beide.
Und wenn Sie ganz bei sich sind und gut für sich sorgen: Glauben Sie mir, Sie werden nichts absichtlich tun, um jemanden wirklich zu schaden. Wenn Sie gut für sich sorgen, nehmen Sie nur was Sie brauchen – probieren Sie es aus.
Und wenn ich Angst habe, etwas für mich zu tun? Hervorragend! Dann spüren Sie nämlich, warum wir so oft geben, statt zu nehmen. Aus Angst – etwas zu verlieren zum Beispiel.
Wenn Sie möchten, sehen Sie sich genau an, warum Sie jemandem anderen etwas Gutes tun. Aus Freude (super!), aus Angst (gefährlich für beide), aus Sorge (wem helfen sie hier? Sich oder dem anderen?), aus Mitleid (autsch – das setzt den anderen herab), aus Mitgefühl (prima – aber auch hier bitte mit Freude und nachdem Sie gefragt haben – sonst hat es Kosten), aus Ärger (abstrus nicht? Gibt’s aber), aus Pflichtgefühl (hat auch Kosten – sehen Sie mal genau hin), aus … (Sie werden erstaunt sein, was Sie alles an Motivationen finden).
Und wenn Sie eine egoistische Regung in sich entdecken, dann sehen Sie auch genau hin. Ist das egoistisch? Kommt es aus einem Mangelbewusstsen? Sorge ich hier gut für mich? Wenn ich es wirklich brauche, ist es nicht egoistisch. Wenn ich es nicht wirklich brauche, aber trotzdem begehre, weist es auf einen emotionalen Mangel oder eine alte Verletzung hin.
Und noch ein Vorschlag: Kaufen Sie sich beim nächsten Geburtstag (Ihrem eigenen oder dem eines Freundes oder Verwandten) ein Geschenk für sich selbst. Genauso sorgfältig und liebevoll wie Sie das für einen geliebten Menschen tun würden. Und mit der gleichen Intention: Freude zu schenken. Sich selbst.
Und den anderen? Ja, ja, natürlich dürfen Sie anderen auch etwas schenken. Aber ich würde sagen: Nur dann, wenn es Ihnen auch wirklich Freude macht.
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