Das Leben in die eigene Hand nehmen – Teil 13: Gehirnwäsche

In dieser Artikelserie (hier finden Sie Teil 1 und hier Teil 14) geht es darum, das eigene Leben nach den eigenen Wünschen zu gestalten. Und es geht um die Gründe, warum dies oft sehr schwer ist.

Schuld und Scham haben wir im letzten Teil besprochen. Heute geht es um „Gehirnwäsche“. Sie fragen sich vielleicht, wieso. Gehirnwäsche ist eher etwas, das man nicht im Alltag vermutet.

Sehen wir uns an, was Gehirnwäsche ist. Gehirnwäsche ist eine starke Form psychologischer Manipulation. Der wissenschaftliche Name ist „Mentizid“. Das bedeutet Verlust der Persönlichkeit. Gehirnwäsche wird gerne von totalitären Staaten eingesetzt (z.B. in der Sowjetuntion unter Stalin, während des Korea-Krieges von Korea, in China unter Mao Zedong) oder von Sekten. Die Technik war vermutlich jedoch schon im Altertum bekannt, sie wird im ägyptischen Totenbuch erwähnt. Das Ziel der Gehirnwäsche ist es, loyale Anhänger zu schaffen – es geht tatsächlich darum, die alte Persönlichkeit nach den eigenen Wünschen umzuschreiben.

Erschreckenderweise ist dies möglich. Wobei ich gleich hier betonen möchte: Es wird eine neue Persönlichkeit geschaffen – ein neuer Aspekt. Gewohnte, alte Aspekte werden in den Hintergrund gedrängt. Was jedoch nicht möglich ist, ist das Ändern des Kerns – des Selbst – meines eigentlichen lebendigen „Ich bin“. Das Selbst kann – durch belastende Erfahrungen und Gehirnwäsche – in Vergessenheit geraten. Es bleibt aber heil, selbst bei starker Traumatisierung. Es kann schwierig sein, wieder zum heilen Teil vorzudringen, aber es gibt immer einen Kern, der unberührt und gesund ist.

Wie funktioniert Gehirnwäsche?

Am besten funktioniert sie bei einem schwachen und verletzlichen Opfer (Sekten suchen z.B. gezielt nach seelisch verletzten Menschen, weil diese leichter zu manipulieren sind). Wenn Sie eine schwierige Phase durchmachen, weil Sie etwas veloren haben oder weil Sie etwas schmerzhaftes erlebt haben, dann sind Sie eher anfällig für Manipulation.

Ein erster wichtiger Schritt ist es, denjenigen, den man manipulieren möchte, von anderen Einflüssen zu isolieren. Das kann durch Einsperren geschehen, durch das Schaffen einer Gemeinschaft, die wenig Informationen von Außen hineinlässt (eine beliebte Taktik von Sekten) oder dadurch, dass der Eindruck erweckt wird, die anderen hätten einen schlechten Einfluß oder wären nicht vertrauenswürdig. Wenn jemand versucht, Ihre Kontakte einzuschränken, dann ist Vorsicht geboten.

Gehirnwäsche funktioniert nur, wenn das Selbstwertgefühl am Boden ist. Staaten und manchmal Sekten setzen dafür (körperliche und psychische) Folter ein. Aber Gehirnwäsche findet nicht nur „weit weg“ statt. Sie ist z.B. Teil von vielen gewalttätigen Beziehungen, sie kann in Eltern-Kind-Beziehungen vorkommen – sie ist Teil unseres Alltags. In der „alltäglichen Form“ wird manchmal körperliche Gewalt eingesetzt, aber häufiger emotionale Gewalt: Beleidigungen, Abwertungen, Lügen, Verunsichern des Opfers (es weiß nie, woran es ist), Belästigung. Sexueller Mißbrauch ist ebenso ein Mittel, um jemanden zu brechen.

Wenn Sie im Kontakt mit anderen manchmal verwirrt sind, kann dies ein Warnsignal sein – vor allem, wenn der andere oft oder gelegentlich beleidigend ist oder sogar übergriffig. Viele „freundschaftliche“ Beziehungen beinhalten Gehirnwäsche in einer „milden“ (aber trotzdem leiderzeugenden) Form. Der „Freund“ nutzt aus, dass ich etwas sehr stark brauche oder möchte. Ab und zu gibt er mir dies – Nähe, Wärme, Freundschaft, Verständnis…. Und dann kommt regelmäßig ein starker Dämpfer. Das Nähe-Distanz-Spiel gehört dazu.

Gruppen, die ein Opfer an sich binden wollen, reden diesem ein, dass sie besser sind als die anderen. Das Außen wird abgewertet, die Gruppe wird zum Heiligtum. Sobald ein Opfer stark geschwächt (oder gebrochen) ist (weil es vorher Schlimmes erlebt hat oder durch den Täter oder die Gruppe selbst), beginnt einer Art Hypnose. Es gibt strenge Regeln, es wird gemeinsam gesungen oder bestimmte Texte skandiert, es gibt eine einheitliche Kleiderordnung oder eine kontrollierte Diät, das Opfer wird mit Informationen bombardiert.

Strenge Regeln haben noch einen weiteren Sinn: Sie sind meistens so beschaffen, dass ich sie gar nicht einhalten kann. Es ist aber inzwischen sehr wichtig für mich, zur Gruppe zu gehören. Wenn ich die Regel breche, empfinde ich Schuld und Scham. Der Regelbruch wird bestraft, aber oft auch vergeben. Derjenige, der mir das unangenehme Gefühl der Schuld nimmt, ist der Anführer der Gruppe/der Manipulierer. Es findet ein Wechselbad von Scham – Vergebung – und ab und zu auch Belohnung statt. Ja genau – manche Formen der Erziehung geschehen auf diese Weise.

Kritisches Denken wird unterdrückt. Es ist zum Teil verpönt, man wird mit Informationen überschüttet, die die Lehrmeinung unterstützen und mit Aktivitäten auf Trab gehalten, so dass keine Zeit zum Nachdenken bleibt. In Sekten findet vieles in der Gemeinschaft statt – es bleibt kein Raum mehr für mich, denn dann besteht die Gefahr, dass ich wieder zu mir selbst zurück finde.

Wenn ich alles richtig mache, bekomme ich eine Belohnung. Der Wechsel von Bestrafung und Belohung ist ein wichtiger Teil der Gehirnwäsche. Bestrafung erfolgt willkürlich. Wenn ich gegen eine Regel verstoße, aber ganz oft auch ohne, dass ich Einfluss darauf habe. Das Opfer wird verunsichert – ist sich nie sicher, was kommt. Gutes Verhalten wird belohnt. Jeder Mensch hat psychische Mechanismen, die ihm ein Überleben in extremen Situationen ermöglicht. Und dazu gehört, in den Opfermodus zu gehen. Wenn ich mich nicht wehren kann, ist es weniger schmerzhaft aufzugeben. Wenn das einzig Gute vom Täter kommt, dann habe ich kaum eine andere Wahl, als mich auf seine Seite zu schlagen.

Wer aus Seminaren oder Vorträgen den „Negativ-Kreislauf“ kennt: Der Manipulierer kennt ihn und nutzt ihn gezielt aus. Er erschafft (durch Folter oder Mißbrauch) die Opferrolle beim Opfer oder sucht sich jemanden, der oft im Opferbewusstsein steckt. Dann liefert er passende Ersatzbefriedigungen. Er macht das Opfer abhängig von sich selbst. Das Verlassen der Gehirnwäsche wird fast unmöglich, weil das Verlassen des Negativ-Kreislaufes starkes Schmerz an die Oberfläche kommen lässt. Das Opfer ist dem nicht gewachsen, weil es beständig vom Täter psychisch geschwächt wird. Dazu kommt eine stark wirkende Ersatzbefriedigung, die das Opfer nicht verlieren möchte – die Zuneigung des Täters, die Akzeptanz der Gruppe, das Wohlgefühle, es „richtig“ zu machen, ev. auch Sex oder Drogen. Ein in seinem Selbstwert stark geschwächter Mensch beginnt jedoch überwiegend nach Aufmerksamkeit zu gieren. Und die bekommt er vom Manipulierer – sehr gezielt. Und natürlich nur ab und zu. Aus der Psychologie wissen wir, dass intermittierende Verstärkung – d.h. eine Belohung, die nicht jedesmal kommt, sondern nur ab und zu – das stabilste Verhalten erzeugt.

Starken oder extremen Formen der Gehirnwäsche begegnen wir im Alltag nur selten. Aber im alltäglichen Austausch mit anderen findet regelmäßig und fast alltäglich eine milde Form der Gehirnwäsche statt. Jede Werbebotschaft bedient sich im Kern des Mechanismus. In vielen Beziehungen – Familie, Paar oder Freunde – findet sie statt. Jeder Staat – nicht nur totalitäre – benutzt die Technik in einer leichten Form. Und im Prinzip auch jede Gruppe – religiöse Gruppe oder eine, die sich auf Sport oder ein Hobby bezieht… Wenn Sie beginnen zu verstehen, wie Gehirnwäsche funktioniert, dann können Sie Sie überall sehen. Deshalb ist sie in dieser Artikel-Serie dabei.

Achten Sie auf folgendes:

  • Sie sind geschwächt oder jemand schwächt Sie durch einen Übergriff (körperlich oder psychisch).
  • Der andere versucht, das auszunutzen – er macht andere Lösungen schlecht.
  • Und bietet eine eigene verlockende Lösung an.
  • Er wiederholt den Übergriff regelmäßig (aber unvorhersehbar).
  • Sobald Sie auf eine seiner Belohungen reagieren, „hängen Sie an der Angel“.
  • Sie bekommen jetzt einen Wechsel von Übergriff und Belohung. Es tritt oft ein Gefühl der Verwirrung oder Verunsicherung auf.

Werbung nutzt auf diese Weise Ihre Ängste und Bedürfnisse. Die Werbebotschaft stärkt die Angst. Das Kaufen des Produktes beruhigt die Angst. Die Werbebotschft spricht nie Ihr reflektiertes Selbst an. Sie zielt immer auf die unterbewussten Unsicherheiten und Begierden. Sie werden niemals gefragt, was Sie wirklich möchten. Sie bekommen eine leichte, todsicher wirksame Lösung angeboten – und die Angst verschwindet. Zuverlässig. Kostet halt jede Woche 3,50 Euro.

Stärkt der andere meinen Selbstwert? Ermuntert er mich zu soveränen Entscheidungen? Oder verstärkt er meine Ängste, meine Wunden oder fügt neue hinzu?

Jeder Übergriff ist der Beginn einer versuchten Manipulation. Wenn eine bestimmte „Masche“ bei mir zieht, wird sie wiederholt. In dem Moment beginnt Gehirnwäsche.

Die Lösung ist natürlich wie immer: Bewusst beobachten – mich selbst annehmen üben.

Wenn ich Kraft und Zuneigung aus mir selbst schöpfen kann, perlt Manipulation an mir ab.

Je besser ich beginne, mit mir selbst auszukommen und mich selbst wert-zuschätzen, desto untinteressanter werde ich für Manipulatoren. Wundern Sie sich also nicht, wenn der Chef oder der Kollege sich Ihnen gegenüber plötzlich anders verhält. Den Fernseher müssen Sie allerdings noch selber ausschalten, wenn er versucht, Ihnen die Vitamine oder die Versicherung gegen den Weltuntergang zu verkaufen. Oder statt ausschalten: Ein paar bewusste Atemzüge nehmen und über den Manipulationsversuch lächeln.

Weitere Informationen zum Thema Gehirnwäsche (den Suchbegriff „Gehirnwäsche“ eingeben).

Der nächste Teil dieser Artikelserie: Stimmungen.

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