Das Leben in die eigene Hand nehmen – Teil 16: Hunger und Müdigkeit
Oder auch: Die „Basics“ – wie kümmere ich mich gut um mich selbst?
In dieser Artikelserie (hier finden Sie Teil 1 und hier Teil 15) geht es um die eigene Souveränität. Manchmal treffe ich nicht selbst die wichtigen (oder auch die kleinen, alltäglichen) Entscheidungen in meinem Leben, sondern ich lasse zu, dass jemand oder etwas anderes darüber bestimmt. In jedem Teil der Serie behandeln wir eine Ursache dafür.
Im letzten Teil ging es um Überlebensmuster, Hormone und andere biologische Einflüsse. In diesem Teil besprechen wir Hunger und Müdigkeit.
Hunger und Müdigkeit sind im Alltag ein sehr, sehr, sehr häufiger Trigger für Dinge, die ich eigentlich nicht tun möchte. Das ist im Grunde völlig banal. So banal, dass es eigentlich keinen Artikel dazu bräuchte. Oder?
Ein Beispiel aus der Praxis: Als mein Sohn noch ganz klein war, ging ich regelmäßig zu einer Stillgruppe. Nicht nur wegen der Unterstützung für das Stillen (jawohl – essen kann unglaublich kompliziert sein, wenn man so ein kleiner Wicht ist), sondern auch wegen einer großen Zahl hervorragender Erziehungstipps der Stillberaterin. Eine dieser überaus nützlichen Informationen war: „Ein Kind in der Trotzphase, das einen Schrei-Anfall bekommt, ist sehr wahrscheinlich hungrig oder müde – oder beides.“. Wow, dachte ich. Das ist ja dann ganz einfach. Du sorgst einfach dafür, dass Dein Kinder immer genug Schlaf hat und satt ist und diese anstrengende Trotzphase wird ein Klacks.
Die Eltern unter Ihnen lächeln vermutlich schon wissend. Ich konnte sehr gut beobachten, dass es tatsächlich so ist: Viele Schreianfälle in der Trotzphase (und auch später noch) entstehen erst dann, wenn das Kind hungrig ist oder müde oder beides. Glauben Sie mir, dass ich eine achtsame und fürsorgliche Mutter bin? Einer solchen sollte es doch wohl gelingen, dafür zu sorgen, dass ein Kind immer genug Schlaf und genug Essen hat.
Tja. Entweder bin ich nicht wirklich achtsam. Oder es gibt einem Haken an der Sache. Dieser Haken ist nach meinem Verdacht im Gefüge unserer Realität verankert. Wir können noch so achtsam sein – wir übersehen Dinge. Wir können uns noch so um Regelmäßigkeit und Zuverlässigkeit bemühen – das Leben ist mitunter chaotisch (meistens?). Manchmal will man nicht essen oder schlafen – auch wenn man hungrig oder müde ist. Kleine Kinder checken das auch mitunter gar nicht. Sie fühlen sich nicht gut – aber warum und wieso ist ihnen schleierhaft.
Es ist unsagbar schwierig, einem kleinen Kind dazu zu verhelfen, nicht in die Hunger- oder Müdigkeitsfalle zu tappen. Und versuchen Sie mal, Essen in ein Kind hinein zu bekommen, wenn es schon lauthals schreit. An Schlafen ist in diesem Fall natürlich auch nicht zu denken.
Soviel zu meinem wunderbaren Vorsorge-Plan für die Trotzphase. Und die Moral von der Geschicht? Wir als Erwachsene können das auch noch nicht.
Oder? Sorgen Sie selbst wirklich gut für sich – und essen regelmäßig (Dinge, die Ihnen gut tun), so dass sie wohlig satt sind (und nicht hungrig oder übervoll)? Und Sie schlafen sicher auch regelmäßig und ausreichend?
Tja. Da ist wohl doch noch etwas zusätzlich Achtsamkeit und vermutlich ein große Portion Selbst-Mitgefühl notwendig. Zumindest für die meisten von uns – argwöhne ich.
Ja, ja – ich weiß. In einem verrückten Alltag (z.B. mit einem kleinen Kind oder mit einem durchschnittlichen Büro-Job) ist es fast unmöglich, gut auf sich zu achten.
Aber was passiert, wenn ich es nicht tue? Denken Sie an den letzten Teil: Der innere Dinosaurier. Mein Selbst, mein Kern, der reife Erwachsene, der rationale Teil von mir, derjenige, der entscheidet und die Zügel in der Hand hält – der Chef also – ist nur solange Chef, bis er in eine Notlage kommt. Sobald es in meinem Körper Alarm gibt, tritt das Sicherheitsteam auf den Plan. Und der Chef wird – zu seiner eigenen Sicherheit – eingesperrt.
Wenn Sie müde oder hungrig sind, dann gerät Ihr Körper viel leichter in Alarmzustand. Sie können nicht mehr so gut auf Ihre kognitiven und kreativen Ressourcen zugreifen (sie werden schlicht und einfach dümmer als sie normalerweise sind). Sie vergessen Dinge. Ärger kann sich leichter aufschaukeln und Sie können ihn schlechter stoppen. Sie sind unfreundlicher – zu anderen und zu sich selbst. Sie verlieren schneller die Fassung, werden schneller von unliebsamen Gewohnheiten und Mustern übermannt und sind anfälliger für Manipulation, Druck, Machtspiele und andere unschöne Dinge aus dem Außen.
Warum tue ich mir das an? Es ist völlig unvernünftig und unlogisch.
Sie ahnen es vermutlich schon: Es ist einfach auch eins dieser vermaledeiten Muster. Die meisten von uns besitzen es. Es heißt: Die wichtigen Sachen zuerst. Und ich selbst gehöre aus unerfindlichen Gründen nicht zu wichtig.
Sie können sich x-mal vornehmen, sich besser um sich selbst zu kümmern – es wird nicht funktionieren, wenn Sie nicht zuerst sich selbst in die Kategorie „wichtig“ sortieren – am besten in die Kategorie „das aller-aller-aller wichtigste auf der ganzen Welt“. Und dann einfach weiter das Wichtigste zuerst machen. Damit landet regelmäßige etwas essen, was mir gut tut und genug schlafen auf Platz 1. Problem gelöst (und mal ehrlich: das aller-aller-aller wichtigste auf der ganzen Welt sind tatsächlich Sie selbst – nur dann können Sie sich um den Rest kümmern und den Rest genießen – selbst wenn Sie gerade ein Baby geboren haben oder der Präsident Ihres Landes sind – hungrig und müde ist man für niemanden wirklich hilfreich).
Hier ein paar Tipps für das „gut für mich sorgen“. Denn es ist tatsächlich irrationalerweise außerordentlich schwierig, das in der Praxis umzusetzen. Ich spreche in meinen Seminaren oft davon, dass es wichtig ist, auf die „Basics“ zu achten. Damit meine ich: Gut für mich sorgen, denn nur dann kann ich alle weiteren Techniken, Tipps und Hinweise umsetzen.
Die „Basics“:
1. Gut essen
Wenn Sie Achtsamkeit anwenden, werden Sie besser und besser spüren, was Ihrem Körper gut tut. Nehmen Sie Expertenmeinungen, wissenschaftliche Studien und Ernährungstipps, die es zu Hauf gibt, nicht so ernst – außer es fühlt sich gut an. Spüren Sie nach Innen – Sie wissen, was Ihnen gut tut. Nicht nur in Bezug auf was, sondern auch wann oder wie oft. Genuß und Geschmack ist im Übrigen ein guter Indikator für „tut mir gut“ (achten Sie aber auf ein mögliches „Tief“ – siehe unten).
Frische Nahrungsmittel, die noch nicht so stark verarbeitet sind, können hilfreich sein. Viele Nahrungsmittel oder Genußmittel werden zu einer Ersatzbefriedigung. Beobachten Sie achtsam das „Hoch“ und „Tief“. Schimpfen Sie nicht mit sich, wenn Sie etwas essen, was Ihnen nicht gut tut und ein „Tief“ verursacht. Nehmen Sie bewusst wahr, wie Sie sich fühlen. Auf Dauer führt das zu einer Veränderung.
2. Wasser – Wasser & Salz
Wasser ist ein Wundermittel. Trinke ich genug (oder zuviel)? Richten Sie sich nicht nach Empfehlungen, sondern nach Ihrem gefühlten Bedarf.
Aufenthalt in Wasser wirkt Wunder – ein Bad oder auch nur Duschen – ein Salzbad oder ein Salz-Fußbad. Schwimmen gehen. Beobachten Sie achtam, was Sie wann und wie am besten unterstützt.
3. Schlaf
Manchmal gönnen wir uns nicht ausreichend Schlaf (aus welchen Gründen auch immer). Spüren Sie nach, ob das der Fall ist – und ob der Grund wirklich bewusst von Ihnen gewählt ist oder ein Muster, das sich ev. überholt hat („Schlafen ist Zeitverschwendung“ – „Ich habe soviel zu tun“ – „Ich möchte nichts verpassen“ o.ä.).
Wenn Sie sich ausreichend Schlaf gönnen, aber nicht so gut schlafen können, dann verlegen Sie Ihr bewusstes Atmen auf den Nachmittag/frühen Abend (direkt nach der Arbeit), um Stress und Anspannung loszulassen. Vor dem Einschlafen, schon im Bett schieben Sie ev. noch einmal eine kurze Atemsitzung ein. Wenn Sie dann nicht einschlafen könnnen oder wachliegen, dann atmen Sie bewusst, statt den Gedanken zu erlauben zu kreisen oder dem Körper, sich unruhig hin- und herzuwälzen. Mit etwas Übung sollte sich Ihre Schlafqualität verbessern.
4. Regelmäßige Achtsamkeits-Übungen
Gerade wenn es stressig wird: Behalten Sie Ihre regelmäßigen Übungen bei (oder fangen Sie damit an). Es lohnt sich.
5. Bewegung in der Natur
Machen Sie einen Spaziergang in der Natur. Wenn Sie dabei ab und zu auch noch bewusst durchatmen, sparen Sie sich ein teures Wellness-Wochenende (wobei Sie das des puren Genusses Willen ruhig noch anhängen können ;-).
Etwas Begegung reicht, um Sie in Ihrer Balance zu unterstützen, es muss kein anstrengender Workout sein (außer er macht Ihnen wirklich wirklich Spaß). Ein Spaziergang im Wald, über Wiesen, am Wasser entlang – oder wo auch immer Sie ein Stückchen Natur finden, wirkt ausgleichend und bringt alles, was feststeckt, wieder ins Fließen.
6. Freude
Mache ich genug Dinge, die mir Freude geben? Oder kommt der Spaß zu kurz? Sie können sich das verordnen wie Medizin, wenn es nicht anders geht. Gerade in einem anstrengenden Transformationsprozess brauche ich den Humor.
7. Ausreichend „leere“ Zeit mit mir selbst
Mit „leerer“ Zeit meine ich: Keine Unterhaltung mit anderen, keine Ablenkung durch Bücher, i-Phone, Handy, Tablet, Fernseher oder Kino. Ich mit mir – und ev. sogar mit der Erlaubnis zu spüren. Viele obige Punkte lassen sich mit Punkt 7 kombinieren.
Diese sieben Punkte stärken Ihre Basis und helfen Ihnen bei: „Ich bleibe der Chef, auch wenn es hoch her geht“. Sie sind auch eine wichtige Grundlage, wann immer ich in Schwierigkeiten stecke oder einen Veränderungsprozess durchlaufe. Es sollte niemand darauf herumreiten müssen. Aber im allgemeinen kürzen wir genau bei den obigen Dingen, wenn es eng wird. Und dann fehlt mir ev. die Kraft, mein inneres Sicherheitsteam (das sympathische Nervensystem, den inneren Dinosaurier, die schlechte Laune oder Wut, das alte Muster) in Zaum zu halten. Und schon sitze ich – neben der alten Patsche – auch noch in einer neuen Patsche. Behandeln Sie sich mit der Sorgfalt, die Sie verdienen – Sie werden staunen, wie wirkungsvoll es ist, wenn Sie konsequent dabei bleiben.