Zusammenfassung Vortrag „Das Leben in die eigene Hand nehmen“ – Teil 2

Zusammenfassung Vortrag „Das Leben in die eigene Hand nehmen“ – Teil 2

Dies ist der zweite Teil einer Zusammenfassung des Vortrags am Gasteig: „Das Leben in die eigene Hand nehmen – Martin E. Seligman und das Konzept der erlernten Hilflosigkeit“. Im letzten Teil haben wir uns mit dem Teufelskreis der Selbst-Sabotage beschäftigt, der entstehen kann, wenn ich ein Trauma, einen Schock oder ein unangenehmes Ereignis erlebe.

Ein Schock oder ein Trauma beinhaltet, dass ich eine emotionale Überforderung erfahre. Auch ein anderes unangenehmes Erlebnis – das nicht zu einem Schock oder Trauma führt – kann eine emotionale Überforderung auslösen und ähnliche (wenn auch weniger einschneidende) Folgen haben. Ich schütze mich gegen die Überforderung, oft erfolgreich – allerdings mit Folgen (Nebenwirkungen) für die Zukunft. Dies ist das Thema heute.

Jeder von uns besitzt etwas, das ich den Kern, das Selbst, die innere Mitte, die Essenz oder den „reifen Erwachsenen“ nenne. Es ist der Teil, der fähig ist, bewusst darüber zu reflektieren, dass ich gerade bewusst bin. Ich besitze weitere Anteile, die einen geringenren Bewusstseinsgrad haben. Das reicht von fast gar nicht bewusst – z.B. alle meine Automatismen oder stark überlernten Gewohnheiten, die ganz von alleine ablaufen (z.B. Radfahren, meine Routine beim Duschen). Bis zu „halb bewusst“ – ich bin schon irgendwie „bei mir“, aber ich verfüge nicht über alle meine Ressourcen. Durch den Alltag bewege ich mich meistens im „halb bewussten“ Zustand: Ich erledige alles, was ich erledigen muss. Zum Teil sehr effektiv, mitunter aber auch weniger effektiv.

Der „halb bewusste“ Zustand äußert sich dadurch, dass ich oft nicht wirklich wähle, was ich als nächstes tue, sondern ich auf das reagiere, was im Außen passiert oder was in meinen Gedanken gerade so abläuft oder dass ich handele, weil ich immer so handele (Gewohnheit). Wenn Störungen auftreten, reagiere ich manchmal effektiv und elegant – aber sehr oft nicht mit der besten Lösung (die mir gerade nicht einfällt). Ich merke oft nicht, was ich gerade empfinde (tut mir das gut, was ich tue? Brauche ich eine Pause? Macht das Sinn, was ich tue? Entspricht es meinen Prioritäten?). Neben diesem – sehr üblichen und normalen – halb bewussten Zustand gibt es außerdem noch Anteile von mir, die „feststecken“. Bevor wir uns diese ansehen, möchte ich noch ein paar Worte zum „Kern“ sagen oder zu meinem „Selbst“.

Wenn Sie bereits Achtsamkeitsübungen machen, dann sind Sie während der Übung (meistens) in Ihrem Selbst. Sie sind sich voll bewusst – was fühle ich gerade? Was denke ich (ohne dass ich in das Denken hineingezogen werde)? Was geht in mir vor und was um mich herum (ohne dass ich hineingezogen werde)? Ich bin in gutem Kontakt mit allen Anteilen von mir und habe einen guten Zugang sowohl zu meinem Verstand, als auch zu meiner Intuition, meinem Fühlen, inneren Wissen und allem, was ich sonst noch an Ressourcen habe (auch wenn ich wenig davon gerade verwende – ich beobachte einfach nur). In diesem Zustand kann ich gute Entscheidungen treffen – ich bin nicht verwickelt (emotional, in Gedanken, in Stress, mit anderen).

Oft fühlt sich das gut an – ich fühle mich ausbalanciert, wohl, sicher, im Vertrauen mit mir selbst. Sollte Wohlbefinden fehlen, bin ich mir zumindest bewusst, was gerade vor sich geht. Ich spüre, dass ich nervös bin – aber die Nervosität ist nicht der „Chef“. Ich bin nicht voll in die Nervosität verwickelt – mein Selbst beobachtet sozusagen den Anteil von mir, der nervös ist. Im Kern ist mein Selbst meine Fähigkeit, mir gewahrzuwerden, dass „ich bin“ – dass ich existiere.

Jeder von uns kann dies und erreicht diesen Zustand, indem er bewusst über sich reflektiert (etwas, das Kinder im Laufe ihres Reifungsprozesses irgendwann lernen oder entdecken). In diesem Moment haben Sie Zugang zu Ihrem Selbst und sind sich – zumindest ab und zu – voll bewusst. Wenn Sie länger Achtsamkeitsübungen praktizieren, dann realisieren Sie irgendwann: Wow – ich existiere!!! Ich spüre, dass „ich bin“ – ich kann mich selbst beim Beobachten beobachten und realisiere, dass ich tatsächlich existiere. Jeder von uns weiß das. Aber es durch und durch zu realisieren, ist noch einmal ein besonderes Erlebnis und wird mitunter als „Erwachen“ bezeichnet. Im Alltag verliere ich diesen sehr bewussten Zustand oft wieder – ich rutsche in Gewohnheiten und Muster und bin durch Verwicklungen nur halb bewusst und nicht voll handlungsfähig.

In der Artikelserie über Gewohnheiten (sieh auch den nächsten Artikel in diesem Newsletter) geht es um all die Dinge, die mich aus meinem Selbst – meiner Souveränität – meinem voll bewussten Zustand „hinauskicken“. In dem Artikel, den Sie gerade lesen, geht es um einen bestimmten Mechanismus, der einen besonders stark „feststeckenden“ Anteil meiner Selbst erzeugt.

Jedes unangenehme Erlebnis, egal ob es ein leichtes (unangenehmes Gespräch mit dem Chef z.B.) oder schweres ist (Unfall, Verlust, Verletzung z.B.) führt dazu, dass ich einen Anteil meiner Selbst „abschneide“. Wenn ich etwas nicht spüren möchte oder wenn es emotional überwältigend ist, dann schiebe ich es weg – ich verdränge es. Wir sind alle sehr kreativ und wenn wir uns „die Geschichte erzählen“: Dies ist nicht wirklich passiert oder „dies ist ganz anders“ (als in der Realität) „passiert“ dann glauben wir uns das auch. Wir erschaffen unsere Realität. Wenn Not am Mann ist, dann ändern wir die Realität in unserem Geist. Alles Schlimme, Unschöne, Belastende wird fein säuberlich in eine Kiste verpackt und versteckt. Dann stellen wir einen Stacheldrahtzaun darum auf und ein großes Schild: Hier nicht hinsehen oder hinspüren – das ist gefährlich. Es ist ein wunderbarer Selbst-Schutz-Mechanismus, ohne den wir nicht existieren könnten.

Ein Beispiel für solch einen abgeschnittener Anteil (Aspekt) von mir selbst ist das Muster der erlernten Hilflosigkeit (oder Opferrolle), das ich zu Beginn (Teil 1) dieser Zusammenfassung beschrieben habe. Neben dem Verdrängen des ursprünglichen Erlebnisses kommt die Überzeugung hinzu: Ich kann hier nichts tun (ich bin hilflos). Diese Überzeugung schützt mich vor dem Spüren des Auslösers (der überwältigend oder zumindest sehr unangenehm war). Ich muss keine Verantwortung übernehmen – ich kann ja nichts tun. Verantwortung würde bedeuten, dass ich die ursprüngliche schlimme Erfahrung noch einmal machen würde (das Erleben der Hilflosigkeit). Die Überzeugung ist so stark, dass meine kognitiven Fähigkeit eingeschränkt sind (wenn ich in der Opferrolle feststecke) und dass ich kaum Energie habe, um etwas zu tun. Wenn ich mich klein mache und ausharre, dann geht es vielleicht vorbei und ich tue zumindest nichts, um die Situation zu verschlechtern oder (Gott bewahre) dieses entsetzliche Gefühl noch einmal spüren zu müssen, welches der Auslöser war.

Wichtig an dieser Stelle ist: Es ist nur ein Teil von mir – das eigentliche Selbst ist nach wie vor verfügbar. Allerdings kann es bei starker Traumatisierung unsichtbar sein (daher brauchen stark betroffene Personen Begleitung und können sich nicht – oder nur sehr schwer – selbst helfen). Und: Es ist ein Schutzmechanismus. Mich selbst dafür zu kritisieren, dass ich einen Hilflosigkeits- oder Opferaspekt erschaffen habe, ist nicht angebracht. Ich habe mir geholfen, so gut es eben geht.

Um den Selbstsabotage-Mechanismus zu verstehen, über den wir in dieser Artikelserie sprechen, ist es wichtig zu verstehen:

  1. Ich habe einen Kern – „das Selbst“ – das Zugang zu all meinen kognitiven, kreativen und energetischen Ressourcen hat. Wenn ich mir meiner selbst bewusst bin – dann bin ich mit diesem Kern verbunden.
  2. Ich habe außerdem Anteile – Aspekte – die einen geringeren Bewusstseingrad haben (d.h. nicht vollkommen frei handeln können), z.B. eine Gewohnheit.
  3. Durch ein Trauma oder ein unangenehmes Erlebnis kann ein Anteil von mir entstehen, der „abgeschnitten“ ist – es ist mir nicht bewusst, dass ich diesen Anteil habe, aber er beeinflusst mein Verhalten.
  4. Es gibt verschiedene solche Anteile. Ein besonders einflussreicher ist die „Opferrolle“ oder das Phänomen der „erlernten Hilflosigkeit“.
  5. Dieses Muster ist ein Überlebensmechanismus. Durch das Abschneiden/Verdrängen und Umdeuten meiner Realität kann ich mit schlimmen Erfahrungen umgehen (die ich sonst nicht bewältigen könnte).

Eine bestimmte Art von so einem verletzten, abgeschnittenen Aspekt ist die „erlernte Hilflosigkeit“, wie sie von Seligmann beschrieben wurde und die „Opferrolle“. Es ist ein Verhaltensmuster, das aktiviert wird, wenn Umstände in meinem Leben mich an das auslösende Ereignis erinnern. Das kann ein Schulreferat gewesen sein, in dem ein Lehrer mich massiv und unfair kritisert hat, emotionaler Mißbrauch durch ein Elternteil oder ein anderes schlimmes Erlebnis, in dem ich mich klein und hilflos gefühlt habe. Die Erinnerung an das Erlebte ist so unangenehm, dass ich die zugehörigen Gefühle nicht spüren möchte. Mein Geist versucht entsprechend, das Erlebte und das Muster möglichst unsichtbar zu machen. Es ist schwer, mir bewusst zu machen, was vor sich geht – dass es das Muster der Opferrolle gibt und wann es aktiviert wird. Das Unisichtbar-Machen ist Teil des Überlebensmechanismus. Die Opferrolle hat Folgen, die mich im Leben beeinträchtigen. Allerdings ist sie ja ein Schutzmechanismus und als dieser schützt sie sich selber. Da ich das Muster ursprünglich erfunden oder übernommen habe, um nicht von unerträglichen Gefühlen überwältigt zu werden, sorge ich – unbewusst – dafür, dass sich das Muster selbst erhält – meist ohne, dass mir dies bewusst ist.

Das Haupt-Problem ist, dass die Opferrolle mich von meiner inneren Quelle trennt. Meine innere Quelle ist das Sprudeln meiner Lebens-Energie und meiner kreativen Energie. Bei kleinen Kindern können Sie diese innere Quelle gut beobachten. Die meisten kleinen Kinder sind in ihrer Aktivität und ihren Ideen nicht zu stoppen. Mit Staunen beobachten wir ihre Lebendigkeit. Eigentlich ist dies unser Normal-Zustand. Allerdings verursacht jedes unangenehme Erlebnis (ab einem gewissen Grad) eine kleinere oder größere Abspaltung eines Teils meiner Selbst – einen verletzten Aspekt. Jede dieser Abspaltungen wirkt wie ein kleiner oder großer Stein, der den Zugang zu meiner inneren Quelle verdeckt. Einige von uns sprudeln nur ein bisschen weniger als wir klein waren. Andere von uns erstarren in einer Depression. Das Gute: Die innere Quelle ist nicht weg – sie ist „nur“ verdeckt. Ich kann den Zugang wieder freilegen.

Wenn der Zugang zu meiner inneren Quelle verschüttet ist, entsteht das Gefühl der inneren Leere. Diese kann sich ausdrücken durch eine kreative Blockade, durch kreisende Gedanken, fehlendes Vertrauen in mich, andere Menschen oder das Leben an sich und fehlende Lebensfreude. Wenn ich stark betroffen bin, bin ich fast täglich mit diesem dunklen, schweren, leeren Gefühl konfrontiert und davon blockiert. Die meisten von uns, die leichter betroffen sind, erleben es ab und zu – als schlechten Tag oder einen Abend, an dem sie sich zu nichts aufraffen können oder ab und zu einer endlosen Gedankenschleife, die mir den Schlaf raubt.

Das Gefühl dieser inneren Leere ist furchtbar. Sie ist auf Dauer nicht auszuhalten – daher suchen wir uns etwas, um sie nicht so stark spüren zu müssen. Wir greifen zu einer Ersatzbefriedigung. Ich meine damit alles, was das Gefühl der inneren Leere kurzfristig überdeckt, mich aber nicht nachhaltig mit Freude erfüllt – mich nicht wirklich nährt und nicht wirklicht gut für mich ist. Es beginnt mit dem starken Gefühl, etwas zu brauchen – einen Trost oder einen „Kick“. Letzlich giere ich nach Energie – um Grunde nach Lebensfreude und Lebensenergie. Da mein Zugang (zumindest in diesem Moment, dieser Phase) verschlossen ist, beginne ich im Außen zu suchen.

Häufige Ersatzbefriedigungen sind Essen, vor allem Kohlehydrate oder Süßes, Alkohol, Aufmerksamkeit von anderen, Fernsehen oder auch Dinge, die mir einen Energieschub geben wie schnelles Autofahren oder sexuelle Abenteuer. Auch Arbeit (und das Heischen nach Aufmerksamkeit vom Chef) oder exzessiver Sport können zur Ersatzbefriedigung werden. Allen solchen Trostpflastern oder Energiespendern ist gemeinsam, dass sie nur ein relativ kurzes „Hoch“ haben – ich fühle mich für eine kurze Zeit besser – geborgen oder voller Energie. Danach gibt es ein „Tief“. Ich fühle mich schlechter als vorher. Zum Teil weil die Wirkung nachlässt (sie ist nicht nachhaltig – es ist nicht wirklich das, was mir fehlt) und zum Teil, weil Schuld und Scham dazukommt. Mir ist schlecht, weil ich zu viel gegessen habe, ich sehe, dass meine Gesundheit leidet, ich spüre, dass ich nicht wirklich Kontakt zu anderen habe und ich empfinde oft Scham über das, was ich getan habe. Dieses „Tief“ verstärkt die Opferrolle („ich kann nichts tun“) und die innere Leere. Der Kreislauf beginnt von Neuem. Ersatzbefriedungen können Drogen sein. Aber auch wenn sie es nicht sind, wirken sie prinzipiell wie eine: Ich fühle mich abhängig, weil ich nicht weiß, wie ich anders als mit der Ersatzbefriedigung das schreckliche Gefühl der Leere, die Energie- und Sinnlosigkeit überdecken soll.

Das Fatale – aber auch der Schlüssel zur Lösung – ist, dass das Muster, das den Kreislauf auslöst, unsichtbar ist. Von mir selbst abgesegnet, denn die Unsichtbarkeit ist ja ein Schutz. Die Lösung liegt im Sichtbarmachen des Unsichtbaren. Der Vortrag und dieser Artikel helfen genau an diesem Punkt: Sie können beginnen, Ihre Hilflosigkeits-Muster zu erkennen. Indem diese Schritt für Schritt ans Licht gelangen, können sich die Blockaden – die Steine – die den Zugang zur Quelle versperren, lösen.

Im nächsten Teil besprechen wir einige Formen von Ersatzbefriedigungen noch genauer. Sie machen verständlich, in welcher Form ich mich selbst sabotiere – um mich selbst zu schützen. Sobald ich verstehe, was ich tue, bin ich schon dabei, das Muster aufzulösen.

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